Alkohol – Sanitäter in der Not?

Blick übern Tellerrand

Provokante Überschrift? Hoffentlich 🙂 Die Überschrift ist eine Zeile aus dem Lied „Alkohol“ von Herbert Grönemeyer:

(Alkohol) ist dein Sanitäter in der Not
(Alkohol) ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot
(Alkohol) ist das Drahtseil, auf dem du, auf dem du stehst

Herbert Grönemeyer „Alkohol“ (1984)

Seit 27 Jahren bin ich begeisterter Biertrinker. Ich habe Bier nie wegen des Alkohols getrunken. Mir war immer der Geschmack am wichtigsten. Aber ich kann nicht verleugnen, dass der Alkoholgehalt für den Geschmack wichtig ist. Genau wie Fett ist auch Alkohol ein Geschmackträger. Aber zu tief ins Glas habe ich das eine oder andere Mal geschaut.

Am 03. November 2018 trank ich mein letztes Bier mit Alkohol. Es war ein Radeberger Pilsener in einem griechischen Restaurant in Haan. Drei Tage später kam ich ins Krankenhaus und war nach zehn Wochen wieder zuhause. Ich war genesen, aber ich muss dauerhaft Medikamente nehmen. Die Ärzte gaben mir grünes Licht für ein oder zwei Bier am Abend, aber ich habe mich dazu entschieden, komplett zu verzichten. In den vergangenen zwei Jahren habe ich immer mal Bier mit Alkohol probiert, aber mir war der Alkoholgeschmack zu dominant. Das Bier war mir zu stark. Ich habe mich davon entwöhnt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich im Bier den Geschmack vom Alkohol überhaupt wahrgenommen habe. Das finde ich im Nachhinein bedenklich.

Das alles an Info vorab. Mir ist es immer fremder geworden, sich zu betrinken und auch nicht mehr Herr seiner Sinnen zu sein. Ich sehe es immer kritischer, wenn ich in den Nachrichten höre, dass sich Jugendliche so sehr betrinken, dass sie ins Krankenhaus müssen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass Jugendliche direkt mit hochprozentigen Getränken anfangen und so die Gefahren nicht einschätzen können.

3,4 Millionen Menschen in Deutschland haben ein Problem mit Alkohol und 1,8 Millionen Menschen sind alkoholabhängig. Für mich sind das alarmierende Zahlen und es sind so viele Menschen, die wir nicht ignorieren können. Wenn Alkoholismus eine Partei wäre, wäre sie im Bundestag vertreten. Das mal als Relation.

Seit vielen Jahren gibt es immer mal wieder die Forderungen, dass „weiche“ Drogen legalisiert werden. Gerne wird dann auf den Alkohol verwiesen, dass dieser legal ist. Ich habe aber nie gesehen, dass gefordert wird, den freien Verkauf von Alkohol einzuschränken. Ich bin großer Freund der schwedischen Lösung: Getränke werden ab einem gewissen Alkoholgehalt in staatlichen Alkoholgeschäften (Systembolaget) verkauft. Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass Tankstellen Alkohol verkaufen. Mir ist bewusst, dass die Pächter von Tankstellen einen Teil der Einnahmen aus dem abendlichen Verkauf von Bier, Wodka & Co. generieren, aber ursprünglich sollten Tankstellen die Autofahrer mit Reisebedarf versorgen.

Auffallend finde ich, dass die, die besonders viel Bier und heftigeres mit Umdrehungen verpacken, im Freundeskreis bewundert werden. Sobald der Alkoholkonsum zur Alkoholsucht wird, zeigt man aber gerne mit dem Finger auf die alkoholkranke Person. Was bin ich froh, dass es Einrichtungen wie zum Beispiel den Drogennotdienst Berlin als eingetragenen Verein gibt oder auf kirchlicher Ebene das Blaue Kreuz. Hier möchte ich das Angebot für Jugendliche „Blu:prevent“ erwähnen. Einem alkoholkranken Menschen zu helfen, ist eine besondere Art der Nächstenliebe. Es ist gut, dass Betroffene und ihre Angehörige Anlaufstellen haben. In solchen Notsituationen sind solche unterschwelligen Angebote wichtig.

Im Jahr 2019 war in der Talkshow „3 nach 9“ von Radio Bremen die Journalistin Nathalie Stüben zu Gast, die offen über ihre Alkoholsucht berichtet hat. Begeistert war ich, dass sie sich nicht als „trocken“ bezeichnet („Ich bin doch kein kleines Kind!“), sie sagt, sie sei seit über drei Jahren nüchtern.

Alkoholismus ist keine schlechte Angewohnheit, Alkoholismus ist eine Krankheit und die Erkrankten benötigen Hilfe. Alkoholismus ist kein Problem einzelner Bevölkerungsschichten, Alkoholismus kann jeden treffen.

Haltet die Augen offen.