Nüchtern in Berlin – Pioniere in Deutschland

Vor einigen Monaten entdeckte ich auf Instagram Nüchtern.Berlin und ich bin neugierig geworden. Katja und Isabella hatten die Idee „0 %„, den ersten deutschen alkoholfreien Späti, zu eröffnen. Ich denke, die beiden haben nichts dagegen, sie mit Vornamen zu nennen.

Geboren im Ruhrgebiet und mittlerweile in Wuppertal lebend ist mir die Kultur der Spätis recht fremd. Um es kurz zu beschreiben, es sind Tankstellen ohne Zapfsäulen. Spannend finde ich den Ursprung, denn die Spätis haben ihre Herkunft in der DDR und das bereits seit den 1950er-Jahren. Die Spätis dienten dazu, dass die Schichtarbeiter versorgt werden kon nten. In Berlin haben Spätis ihre eigene Kultur und sie bieten ein besonderes Flair. Etwas neidisch bin ich da schon.

Wittgensteiner Bosch in Berlin

In der Vergangenheit habe ich zweimal bei Nüchtern.Berlin online bestellt. Bei meiner letzten Bestellung war ich besonders gespannt, da die von mir geschätzte Brauerei Bosch aus dem Wittgensteiner Land a) ein alkoholfreies Bier hat und b) ich es in diesem Späti kaufen konnte. Kurz gesagt: mir schmeckt es mit seinem ausgeprägten Malzaroma! Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann würde ich gerne das Braunbier von Bosch ohne Alkohol  probieren. Geht klar, liebe Boschs?

Dank der Homepage von Nüchtern.Berlin kenne ich nun die Bedeutung vom Begriff „Mocktail“, dem alkoholfreien Cocktail. Das aus dem Englischen to mock bedeutet übersetzt verspotten oder verhöhnen. Mit anderen Worten: Nicht ernst zu nehmen.

Gentrifizierung

Der Späti ist im Bergmannskiez in Kreuzberg zu finden. Dieser Teil von Berlin war mir bis dato gänzlich unbekannt und ich bereue es, dass ich nicht schon vorher in diese Gegend gekommen bin. Bergmannskiez passt, denn die Straßen haben mich an Siedlungen im südlichen Essen im Ruhrpott erinnert. Leider scheint es auch hier einen großen Wandel gegeben zu haben. In der Woche Berlin habe ich sehr oft den Begriff „Gentrifizierung“ gehört. Berlin war noch vor vielen Jahren dafür bekannt, dass man dort günstig wohnen konnte. Diese Zeiten sind wohl vorbei. Ich schaute mir die zur Zeit veranschlagten Mieten an und fand eine 1-Zimmer-Wohnung. Identischer Mietpreis mit unserer Wohnung in Wuppertal, nur dass wir 100 mmehr haben.

Zurück zu Nüchtern.Berlin. Irgendwann habe ich den Späti gefunden. Die Hausnummerierung in Berlin erschließt sich mir nicht immer. Der kleine Verkaufsraum ist übersichtlich eingerichtet und wer denkt, man findet die klassischen alkoholfreien Biere der Großbrauereien, weil man alles anzubieten hat, der täuscht sich. Getränke, die man im Supermarkt bekommen kann, sind hier nicht anzutreffen. Es wird offensichtlich auf Qualität gesetzt. 

Nun war ich eine Woche in Berlin und neben den dienstlichen Erfordernissen habe ich mich diese Dienstreise angetreten, um den alkoholfreien Späti einen Besuch abzustatten. Ich finde die Idee riesig und mutig. Aber wenn das funktioniert, dann kann ich es mir am ehesten in Berlin vorstellen.

Gerne möchte ich von der Homepage zitieren, warum die beiden Damen sich auf alkoholfreie Getränke konzentrieren:

Wir bewegen uns in einer Trinkkultur, in der es mittlerweile schwierig geworden ist, ein Glas abzulehnen, ohne dass man dabei entweder überredet, nicht ernstgenommen, verurteilt oder als Spaßbremse abgestempelt wird. Ein Glas mit Schampus, Vino oder eine Flasche Bier in der Hand ist Voraussetzung geworden. Für allerlei Feierlichkeiten angefangen bei Feierabenden, Dinner with friends, Geburtstagen über Silvesternächten bis hin zu Hochzeiten. Aber auch an jedem herkömmlichen Wochentag ist einem in Tee haben legitim geworden und in manchen Familien- und Freundeskreisen sogar Pflicht. Dabei gibt es mehr als genug gute Gründe auf die Promille im Glas zu verzichten. Und nein, es nicht der einzige Grund bei Schwangerschaft (das Klischee ist bis dato unüberwunden). 

https://nuechtern.berlin/pages/uber-uns

Das gibt meine Erfahrung der letzten drei Jahre wieder. Ich darf mich immer wieder rechtfertigen, warum ich keinen Alkohol trinke. Daraus resultiert in der Regel ein Gespräch über den Grund und meiner Herzerkrankung. In dem Zusammenhang platziere ich gerne, dass jedem das widerfahren kann und man auf sich aufzupassen hat.

Besuch im Nüchtern.Berlin

Bevor ich weiter stöbern konnte, wurde ich dezent von einer jungen Frau begrüßt. Ich vermute, es war Katja. Mit den Mund-Nasen-Schutz erkennt man die Menschen nicht unbedingt. Es ergab sich ein tolles Gespräch über alkoholfreie Getränke. Und ich war beeindruckt, zu den meisten Getränken bekam ich eine kurze Info. Sie gab aber auch zu, dass sie eher beim Wein zuhause ist.

Bier, Wein, Sekt und Gin in alkoholfrei waren mir bekannt, aber die unterschiedlichen Ginsorten haben mich überrascht, aber dass es alkoholfreien Rum und Whiskey gibt, war mir neu und ich finde es großartig. Toll! 

Der Abstecher nach Kreuzberg hat sich gelohnt. Ich bin gutgelaunt mit ein paar Einkäufen aus dem Späti gekommen. Ich fühlte mich gut aufgehoben und noch beraten beraten. Bei einem künftigen Besuch in Berlin werde ich wieder in die Solmsstraße gehen und im Späti einkaufen. Und dem Bergmannskiez mehr Aufmerksamkeit widmen. 

Reichstag und BrewDog

Aber nicht nur der Späti in Berlin hat Spaß gemacht. Eine meiner Arbeitskolleginnen, die ich in Berlin getroffen habe, kennt unseren Bundesarbeitsminister und hat eine exklusive Führung durch den Reichstag mit einer seiner Mitarbeiter*innen organisieren können. Es ist beeindruckend, wie viel Geschichte in dem Gebäude steckt. Ob es der Blick in den Plenarsaal war oder das Stück des Originaltunnels, der unter dem Reichstag sich befand, aus dem der Brandstifter des Reichstages geflohen war. Auch sind im Untergeschoss die Mauern vorhanden, auf denen sich die russischen Soldaten 1945 verewigt hatten. In den 1990er Jahren hat der Bundestag sich dafür ausgesprochen, dass nicht alle Schriften erhalten bleiben. Vielleicht hätte man aktuell anders entschieden. 

Begeistert hat mich die Installation „Archiv der Deutschen Abgeordneten“. Alle freigewählten Abgeordnete haben einen eigenen Kasten erhalten. Nahezu 5000 Kästen sind mit den Namen der Abgeordneten beschriftet, die zwischen den Jahren 1919 und 1999 auf der Grundlage demokratischer Wahlen der verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung von 1919/1920, den Reichstagen der Weimarer Republik oder dem Deutschen Bundestag angehörten. Der in der Installation präsentierte Zeitraum endet mit der Wiederaufnahme des Parlamentsbetriebes im Reichstagsgebäude nach seiner Umgestaltung durch den britischen Architekten Norman Foster. Mehr dazu findet man auf den Seiten des Bundestages.

Mittlerweile ist es schon Standard, dass ich in Berlin BrewDog aufsuche. Diesmal ging es nur nach Mitte und konnte dort ein gezapftes alkoholfreies Punk IPA trinken. Da bei BrewDog Menschen aus aller Welt arbeiten, erlebt man auch die eine oder andere Kraft, die aus dem englischsprachigen Raum kommt. Da ist dann ein Bier mit dem Namen „Kiezkeule“ eine große Herausforderung.

Positiv an einer Rückkehr aus Berlin ist, dass man schon Ideen für eine neue Fahrt hat.